Die schöne neue Bilder-Welt

Im Oktober 1994 bekamen wir im öffentlich-rechtlichen TV der ARD gezeigt, was ein UFO ist - oder auch nicht. Was wir alle bildhaft-"aufklärend" im TV vorgesetzt bekommen, sollte einmal näher betrachtet werden - und unser Verständnis für das Fernsehen erschüttern. Einem Fernsehen, dem wir traditionell so viel Vertrauen entgegenbringen und kaum mitbekommen haben, wie sich die inneren Werte dort und in der Gesellschaft veränderten. Überall wachsen Medienmultis heran (wie jetzt gerade durch die Fusion von CNN mit Time-Warner), die nur eines im Zielkreuz haben: Unser sauer verdientes Geld (und davon wollen sie via Pay-TV, Multimedia und INTERNET immer mehr). Ihre Methode ist schlicht und banal - wir sind ein Volk der Fernseh-Träumer und Wirklichkeitsflüchtlinge geworden und ergötzen uns an einem bildhaften Massenkunst-Werk, welches wir von bestimmen Interessengruppen und Machtzentren wie Chappi vorgesetzt bekommen. So wollen wir uns einmal einer besonderen Betrachtung des Jetzt- und Zukunfts-TV widmen. An die Spitze der TV-Allmacht ist inzwischen der Disney-Entertainment-Konzern geklettert, der mit der Übernahme von ABC das zweitgrößte Take-over in der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte leistete. Motto: produzieren, senden, vermarkten. Der Bildschirm wird jetzt konservative Neubelebungen erfahren und seinen Beitrag zur political correctness beim Mittelstand als Fluchtpunkt vor den sozialen Problemen dieser Welt mittels virtueller Welt-Erfahrungen in der Vernetzung von Fernseher, Computer und Telefon leisten. Warnung: Der nachfolgende Beitrag mag ihr grundsätzliches Vertrauen in gewisse "höhere Werte" und Autoritäten erschüttern, empfindliche und weltfremde Gemüter lesen bitte nicht weiter.
Es geht um den ständigen Eiertanz zwischen Publikum und den Anforderungen des Werbemarktes, der immer öfter unsere TV-Programme finanziert. Parallel einher gibt es den Krieg der Konzerne, die ach so soziale Marktwirtschaft geht mittels brutalem Verdrängungswettbewerb baden. Wir haben es hier mit einem gesellschaftlichen Problem zu tun, weshalb das Fernsehen zum Ablenkungsinstrument, zum "Opium fürs Volk" wird. Die Berichterstattungen gehorchen unter diesem Schwert in wesentlichen Elementen den Prinzipien der Unterhaltung, "ganz wie im Film". Es ist lohnenswert zu sehen, in welchem Klima die Veränderung oder Mutatation des billigsten Volksvergnügen einhergeht: In einer längst verschärften Arbeitsmarktlage tobt der Krieg Mann gegen Mann im eigenen Betrieb, "Nieten in Nadelstreifen", das ganz große Abkassieren der Bosse in den Selbstbedienungsläden namens Chefetagen - die Frustrationen steigen ins gigantische und sorgen für extreme politische Gedanken und daraus resultieren immer (unangenehm) auffälligere Wahlergebnisse für extremistische Strömungen. Die Welt steht am Abgrund, aber alle reden sie bunt und heil, Korruption an allen Orten, Gewalttätigkeiten wie noch nie (PKK-Kurden-Problematik als Straßenkämpfe mitten in Deutschland, Punker und sogenannte "Autonome" fechten den Mini-Bürgerkrieg mit der Staatsmacht und mit uns allen als Vertreter eines verhassten Establishments aus), Ohnmacht der Staatsgewalt überall, schöne Reden, AIDS längst vergessen - neue sexuelle Ausschweifungen wie kaum zuvor, Autoritätsverlust von angesehenen Einrichtungen wie die UNO. Da haben nicht wenige den Hals bis oben hin voll, auch wenn man dies totschweigt oder bei den komischen Kauz der "Aussteiger" (nur mit dicker Brieftasche) gerade noch am Rande akzeptiert. Opium fürs Volk ist angesagt, Traumwelten via Fernsehen werden vertrieben - und es steckt noch einiges dahinter, der Esoterik- und Para-Quark ist noch das billigste "Aufarbeitungsmittel". In einer Zeit der Sinnfragen rufen viele Menschen nach Erlösung und nach Wunder - die breite Front der Para-Verlockungen, -Ablenkungen und des New Age müsste erfunden werden, wenn es sie nicht schon längst gäbe. Und was ist das schlichteste Mittel für die Alltagsflucht? Es ist jener geheimnisvolle Ort, wo wir uns aus der Welt ausklinken können und wo der Fluchttransmitter jederzeit uns quer durch die Frequenzen beamen kann. Der Götze unserer Zivilisation: Das Fernsehgerät! (Und davor geht es um ein Ziel, jener Seher oder Leser, der als Kunde den Markt verkörpert.)
Unzweifelhaft ist die Macht und Magie des Fernsehens ein zumeist unbeachteter Punkt für die Erfassung der Welt um uns, für das Weltverständnis und den Blick auf die Geschehnisse rund um uns herum. Noch niemals hat ein Medium uns so sehr ergriffen und in die unsichtbaren Fesseln genommen. Wissen, Kultur und Bildung heute - was wären wir ohne TV? Wissen, Erfahrung und Meinung transportiert das Fernsehen wie noch nie in unseren Verstand, gleichfalls spricht es uns wie kein anderes Medium emotional an und ist imstande, "die Welt zu verändern". Doch: Selbst die seriösesten Nachrichtensendungen werden inzwischen unter dem Druck der Einschaltquoten zelebriert, das heißt, sie enthalten auch eine Zurichtung des Weltgeschehens (und hier sind die USA ein Hobby der westlichen Welt und reflektieren die "neue Weltordnung") auf den unterstellten Geschmack des Publikums. Fernsehmacher tippen dabei auf die verdeckte Zufriedenheit der TV-Kunden, die da wissen sollen, dass die Betrachtung dieses oder jenes Programms sich gelohnt hat. Insofern genügten die Nachrichten schon vor ihrer Infotainisierung einem sublimen Unterhaltungsbedürfnis. Entscheidend ist hierbei festzustellen, dass je näher man an die Spannungspunkte und Live-Ereignisse kommt, von denen Nachrichten am liebsten berichten, desto entschiedener werden die redaktionellen Abstriche an der telegenen Qualität. Die Wirklichkeit kommt später dran, wenn überhaupt. Man kann auch sagen: Müll im Kabel. Und von dem gibt es bald noch viel, viel mehr.
Dank dem TV wird die Welt zu einem "vernetzten globalen Dorf", in einem Dorf wo wir alle Gefahr laufen, irgendwie gleichgeschaltet und abgefüttert zu werden. Sind wir die Fliegen, die sich in diesem Cyperspace-Spinnennetz einer virtuellen Realität verfangen? Dumm ist nur, dass die Print-Medien sich dem TV-Druck mehr und mehr unterwerfen und sich daran orientieren. Talkshows und naturwissenschaftliche Reihen werden inzwischen von Bierbrauereien präsentiert, product placement ist in Seifen-Opern bereits Alltag. Es geht nicht nur um gute Quoten, sondern auch um die "richtigen" Zuschauer (jene zwischen 14 und 49 Jahren Lebensalter, also die zahlungskräftigen Kunden für Handel und Industrie!). Die heutigen Fernsehmacher kennen ihre Zuschauer leider sehr genau, so dass die Versuchung übergroß ist, ihm das zu geben, was er will - Trash im globalen TV- Rummelplatz mit einer Milliarde Fernseher. Thomas Gottschalk gab so auch zu: "Die gesamte Arbeit im Fernsehen ist ein Charakterverlust, aber ich habe Probleme, Leute zu ihrer Penislänge zu befragen." Hier werden neue "tolle" und knackige Klischees und Traumwelten aufgebaut, die derzeit noch so mancher "irrsinnig spannend" findet und sich nebelumwogen mit der Bierbüchse in der Hand in einer Ära der "TV-Revolution" vorfinden mag - "nur" weil auf Pro 7 Mittwochabend gelegentlich in Liebe, Sünde deftige Themen und staatsanwaltlich beklagte erregierte, primäre männliche Geschlechtsmerkmale schier aus dem Bildschirm hervorragen. Und so mancher holt sich knall-harte Pornografie vom Satelliten-behangenen Himmel herunter, um einen feucht-fröhlichen Abend zu erleben ("Wäre Fernsehen zu Zweit nicht viel schöner?" klingt es ab 23 h als "Werbe-Botschaft" in so manchem Kanal, um auf irgendeine Sex-Hotline fernab hinzuweisen). Ist dies die Fernseh-Revolution? Das Fernsehen der Zukunft braucht keine Quer-, Nach- oder sonstige Denker, sondern ausgabefreudige Verbraucher zwischen 14 und 19 Jahren.
Auch im UFO- oder Para-Sektor erfährt die Öffentlichkeit neue Realitäten, andere Wirklichkeiten. Die ARD-UFO-Sendung der NDR-Unterhaltungsabteilung ist der schlagende und eindrückliche Beweis.
Der Fernseh-Journalismus nimmt uns mehr und mehr im Boulevardfernsehen und Infotainment- Selbstverständnis ein. Wer durchschaut heute eigentlich noch, als Konsument und Nutzer, den sachlichen, moralischen und ethischen Wert irgendeines TV-Magazins...? Jung, frisch und dynamisch kommen sie uns daher, sie geben sich als kreative, kritische und parteiunabhängige Journalisten aus. Dabei haben sie nichts gelesen, nichts kapiert, stellen sich aber immer mitten hinein ins Bild - solche Reporter kommen bei den Privaten groß raus und prägen leider das, was die Leute für Fernsehjournalismus halten. Hintergründige Erklärung von Problemen der Welt? Komplexe Sachgegenstände entwirrt? Denkste: "Knackig" (heißt kurz angebunden, plakativ) müssen die Statements sein, um in 3 1/2 Minuten "sendefähig" zu werden, ich kann den Spruch kaum noch hören. Kurz und knapp, verkürzt und komprimiert sollen komplexe Themen fernsehgerecht abgeklärt werden, "damit auch die Doofen es verstehen", wie mir ein Redakteur einmal sagte. Und ganz wichtig: "Spannungsbögen" müssen dem Zuschauer geliefert werden - schlichtweg das alte (schon immer erfolgreiche) Spiel im Schundroman-Muster von Sex & Crime. Ja, mit dieser Struktur macht man zwischen Selbstbefriediger und Kindesmissbrauch überall Quoten.

Fernsehen will "informieren", heißt es. Doch die Wirklichkeit der Fernsehnachrichten wird vom Bild und der Sensation bestimmt, und das ist sowohl in der Wirklichkeit wie auch bei den Nachrichten ein grundlegendes Dilemma: Woher auch immer die "geilen" Bilder nehmen? Da muss gelegentlich schon nachgeholfen werden und Neo-Nazis machen gegen einen Kasten Bier fernsehgerechte Randale. Wo ein Sender vom Berichterstatter sich zum Teilhaber transformiert, verändern sich die Interessen - die Öffentlichkeit wird nicht mehr korrekt informiert, sondern die Journalisten verwandeln sich in Produzenten einer neuen Wahrheit. Die Berichterstatter sind weitgehend verschwunden, die Kommentatoren und Meinungsmacher sind ihre Sargträger geworden. Dies immer im Blick der alles entscheidenden "Medienplaner" im background - sie sind die wahren Dunkelmänner der flimmernden Schirme. Ihnen ist ein Film, den beispielsweise drei Millionen Zuschauer sehen, davon eine Millionen in jenem für PR-Botschaften besonders empfänglichen Alter, lieber als ein Beitrag, den acht Millionen sehen, davon zwei Millionen unter 50 Jahren. Sie wollen einen TV-Beitrag mit möglichst hohem Jugend-Approach. So brachen wegen zu geringer Zuschauerzahlen im anvisierten Alter zum Beispiel das ZDF die "Computer-Show" und die ARD die Serie "Jack & Jack" nach drei (von zehn fertigen Folgen, eine wurde übrigens hier in Mannheim und beim CENAP-Chef abgekurbelt) Folgen ab - es waren zwar gut-gequotete Programme, aber die "falschen" Seher. Gerade auch bei den Privaten, wo Trash (Lautmal-Wort für Ramsch und Schund, für das täuschend echte Unechte, ein Glitzerding ohne Wert) als zeitgenössische Populärkultur hochgelobt wird und Einfluss auf ehemals seriöse Talks wie "Bei Bio" (ARD) oder Politmagazine wie "STERN-TV" (RTL, derzeit hauptsächlich getragen aus einer Holding von Bertelsmann und der WAZ-Gruppe) nimmt und die Messlatte verschiebt, wird Information zum Teil einer "Amüsierindustrie". Dabei reagiert man angeblich auf den Publikumsgeschmack, soll heißen: Die ungebildeten Massen haben immer wieder demonstriert, dass sie ausdrücklich nichts anderes haben wollen als einen elektronischen Globalrummel von perfekter Anspruchslosigkeit. Deswegen desertieren die nicht-akademischen Zuschauer scharenweise aus den kulturbemühten Frequenzen der öffentliche Kanäle hinüber zu den Privaten, wo der biertrinkende Rummelbesucher im Namen der wahren Werte sein vulgäres Vergnügen erfährt. Wie immer ist Amerika das "Vorbild", was so mancher vielleicht den Kollaps der kulturellen Hierarchie im postmodernen Amerika nennen mag. Zurück geht dies alles auf Ronald Reagan als Stammhalter im Weißen Haus, denn mit einer Radikalität, zu der nur noch konservative Romantiker fähig sind, revolutionierte er die Existenzgrundlagen der audio-visuellen US-Medien, welche zunehmend weltbestimmend sind: Er überlieferte sie der freien Marktwirtschaft! Zwar waren Radio und TV in Amerika von Anfang an kommerziell und lebten im Werbegeschäft. Von 1934 an aber wurden sie durch ein Bundesgesetz und eine Federal Communication Commission reguliert und kontrolliert. Drei eigenständige Systeme (NBC, CBS, ABC) wurden zur Konkurrenz um die Publikumsgunst auf dem nationalen US-Markt zugelassen.
Dafür mussten sie Auflagen erfüllen, die Mindestsendezeiten für Nachrichten und politische Informationen "im öffentlichen Interesse" forderten und, wichtiger noch, die Unabhängigkeit des journalistischen Stabes von der geschäftlichen Seite des Unternehmens garantieren sollten. Davon ist kaum eine Spur mehr übrig auf beiden Seiten des Atlantiks. Statt dessen bekommen wir ein unwirkliches "Reality-TV" oder die Invasion des Trivial-TV vorgesetzt, die Realität des Seins knackig verpackt nach dem Selbstwertgefühl der Schnell-Schnell-Redaktionen. Die drei herkömmlichen kommerziellen US-Networks haben an neue, spezialisierte Kanäle nahezu so viele Zuschauer verloren wie ARD und ZDF in Deutschland an die neuen privaten Netzte von RTL bis DSF. Es gibt kein Entkommen vor Trash-TV; denn auch das neuere vierte US-Network, Rupert Murdochs "Fox" (gehört zu dem eingesackten Filmgiganten Twentieh Century Fox), hat von vorneherein ein Programm mit Rummelplatz-Profil angepeilt. Beispiel: eine Sex-Talkshow mit dem Titel "Studs" (Deckhengste) oder diverse Parashows, die genauso gut in England wie in Australien laufen (demnächst gar vielleicht auf VOX, Murdoch hat 50 Prozent von VOX eingekauft - die andere Hälfte hält großteils der Medienkonzern Bertelsmann) und äußerst erfolgreich deswegen sind, weil sie "Reality-TV"-gerecht paranormale Vorgänge in einem Mini-Drama vorführen, bei dem jeder mitleiden kann und da hier TV-gerecht besonders dramatisch Bilder vom Paranormalen aus der Hexenküche der Hollywood-FX-Experten zusammengebraut werden, die längst nichts mehr mit den weitaus schwächeren Erlebnis-Eindrücken ehemaliger Zeugen zu tun haben.
Ob dieser niederen Erfahrungen tritt gelegentlich ein Medien-Wissenschaftler wie James Twitchell (Columbia University) höhnisch auf und erklärt: "Jawohl, die Verhunzung des Geschmacks in Amerika ist ein Triumph des Volkswillens." Gehör findet er natürlich nicht und die "Internationalisierung" des american way of live findet im globalen Mediendorf rasant Ausbreitung! Kein Wunder also, wenn neben McDonalds und Coke nun die comicartige Kinderwelt des Disney-Konzern die Welt befrieden soll - Disney wurde im Hauruck-Verfahren zum größten Medienkonzern der Welt, was uns ein grenzenloses Fantasieland verspricht: saubere, konservative Fernsehsendungen, Erlebnisparks, weltweit über 350 Disney-Läden und bald auch eigene Kreuzfahrtschiffe für die Wirklichkeitsflucht jener, die es sich leisten können. Und um diese buhlt wegen der fetten Milliardenmärkte inzwischen auch die Politik in vielen Ländern. Rigide Rundfunkgesetze werden gelockert und verhökert, was freilich die Medienkonzentration (und der von ihnen so oder so vermittelten Inhalte, Aussagen und Weltbilder!) erst recht anheizt. Es geht um einen Markt, der unvergleichbar ist. Unseren Wirklichkeitsfluchten ist uns alles lieb - sonst wäre ja der Drogenmarkt nicht das gewaltigste Geschäft der Welt. Wenn wir schon dabei sind, in diesem Frühjahr kaufte der kanadische Spirituosen-Konzern Segram 80 Prozent des Unternehmens MCA auf und der Mischkonzern Westinghouse (Turbinen und Kühlschränke) geht mit 5,4 Milliarden Dollar in die Akquisition von CBS! Das Ziel ist klar: Die Welt wird eingenommen. Im großen Stil exportiert man Bilderwelten, die erstaunlicher Weise auch von unterschiedlichen Kulturen zwischen Asien und Südamerika absorbiert und angenommen werden, ja als Orientierung dienen, so dass die Sender plötzlich zu Werbeplattformen für Produkte wie Coca-Cola oder Big Macs werden.
Unberücksichtigt hierbei ist noch, dass japanische Elektronik-Produzenten große Film- Studios in den USA aufgekauft haben, der Softdrink-Produzent Coca-Cola dem gleichfalls nacheiferte und die Firma Walt Disney jüngst eines der größten US-Networks vereinnahmte (während unbemerkt bereits "Super RTL" sich zur Disney-Filiale mauserte). Das kann es nur in den USA geben? Da träumen Sie noch vor sich hin, ich will Sie erwecken. Es ist außer Frage, die mächtigsten Medien-Haie der Welt sind Ruppert Murdoch, Silvio Berlusconi, der saudi-arabische Oel-Scheich und Prinz Al-Waleed Bin Talal und hierzulande der Münchner Medientycoon Leo Kirch, die sich alle durch ihre rueden Geschäftsmethoden und brutalen Umgangsformen als vorbildliche Vertreter der neuen Welle auszeichnen. Ihr Motto: "Nur das Geld ist heilig", ansonsten wird getreten wo es nur geht und dies als grundlegendes Prinzip verstehen. Murdoch: "Ich trete alle in den A..."
Selbst der Pro 7-Chef, Georg Kofler, warnt davor, dass die Deutschen aufpassen müssen: "Jetzt kommen die Amerikaner und nehmen auch die Vertriebswege in die Hand, deren Investoren rollen den deutschen Markt auf." ABC besitzt so eine starke Beteiligung an der Firma Tele München des Filmhändlers Herbert Kloiber; ABC mischt bei RTL2 und bald bei dem Frauensender TM 3 mit. Time Warner ist inzwischen der zweitgrößte Medienkonzern der Welt (danach kommt Bertelsmann), der einen Blick auf Deutschland wirft: Man plant ein Netz von Lokalfernsehstationen, die Warner-Ware abspielen soll (nachdem VIVA bereits zum Abspielkanal der Musikprodukte geworden ist). Am Berliner IA Fernsehen und an Hamburg 1 ist der US-Riese bereits beteiligt; zusammen mit Ted Turner mischt er zudem beim Berliner Nachrichtenkanal n-tv mit. Und Turner ist der Herr der Bilder. Er weiß, dass die Welt einen immensen Hunger auf immer neue Bilder und Bilderstorys hat, basierend auf ihrer Traumsüchtigkeit und ihrer Fluchtsüchtigkeit, wie er es nennt. Um diese realitätswegführenden Materialien tobt der Krieg. Turner: "Es ist Krieg. Es geht um die Weltherrschaft, Murdoch will die Welt beherrschen." Während Turner glaubhaft machen kann, keinen politischen Einfluss über sein Medienimperium zu nehmen, wirft er Murdoch vor, genau dies als Ziel zu haben.

Und der Krieg um unsere Köpfe wird immer brutaler. Sicher, ein Extrem-Beispiel mag die Ermordung des TV-Journalisten und TV-Generaldirektor Wladislaw Listjew vor ein paar Monaten sein, als dieser am 1. März 1995 im Treppenhaus seiner Moskauer Wohnung von Mafia-Killern zusammengeschossen wurde. Dies hat seinen Hintergrund: Listjew hatte die vorläufige Einstellung aller Reklamesendungen angekündigt, da Dutzende miteinander verflochtener Firmen, die alle ihre Profite aus offener und schleichender Werbung im ersten Staatskanal zogen, erst einmal genauer überprüft werden sollten! Jelzin feuerte daraufhin zwar einige Figuren und versprach die Mörder zu bestrafen, passiert ist außer dem Lippenbekenntnis jedoch nichts. Blutig erst meinen es alle, die in Russland mit Geld, guten Worten oder Gewalt das Medium Fernsehen unter ihren Einfluss zwingen wollen: Banken ("Menatep", "Nationalny Kredit") und Industriekonzerne (wie der Autogigant "Logowas") die Leute direkt im Direktorenrat des "Öffentlichen Russischen Fernsehens" (ORT, hervorgegangen aus dem Staatskanal "Ostankino"), nicht selten von KGB-Lotsen aus der Staats- in die Marktwirtschaft gesteuert, die ihren Leumund aufpolieren und sich einen preiswerten Werbeträger sichern möchten. Listjew wurde das erste Opfer eines verschärften und zunehmend gnadenloseren Verteilungskampfes um die Plätze in der Ersten Reihe. Und was bekommt der Russe geboten? Krimiserien aus England, Seifenopern aus Brasilien oder andere Billigware vom internationalen Unterhaltungsmarkt. TV-Tycoon Ted Turner baute zudem TV-6 auf und beliefert damit die Nation des Bären mit seinen alten Filmkonserven amerikanischen Kulturgutes; die "Most"-Bank betreibt den Sender NTW, welcher bereits angetreten ist, das Staatsfernsehen die Zuschauer abzunehmen. Für Russland hat das Fernsehen eine staatserhaltende Bedeutung erlangt: es ist die einzige kommunikative Klammer, die das zwischen Reform und Restauration hin- und hertaumelnde euro-asiatische Land zusammenhält.
Unterschwellig brutaler wird auch das Trash-TV mit Beispiel USA. Hier werden mittels Geschmacklosigkeiten die Einschaltquoten der US-Talkshows hochgetrieben, ummantelt mit Werbetexten wie "hier wird kein Blatt vor den Mund genommen" oder "hier verschafft man sich Gehör", auch wenn es immer grober wird. Details will ich Ihnen hier ersparen, aber der Fernsehkritiker Tom Shales sieht dieses Trash-TV als "Teil der kulturellen Umweltverschmutzung Amerikas". Egal, alle Warnungen zum trotz, gerade die deftigen Shows verdreifachten ihre Einschaltquoten und über 200 Stationen strahlen solche derzeit aus! Damit ist das Ziel der Medien-Manipulateure erreicht worden. Man nennt dies das aging down, vor allem Frauen zwischen 18 und 34 Jahren werden damit erreicht - ein Traumsegment für die Werbeindustrie. Sie sind ein Magnet für Werbegelder - da sind wir wieder beim Amüsierbetrieb TV. Der Kolumnist John Leo seufzt so: "Wir leben inmitten eines kulturellen Zusammenbruchs, wo durch mehr Konkurrenz immer weniger Anstand vermittelt wird." Es geht für die Talkshows ums
überleben, die Garde der Talker muss immer mehr riskieren und zum Vollgasmanöver ansetzen, wann der erste Studiogast vor laufender Kamera abgemetzelt wird ist abzuwarten. Erstaunlich ist hingegen ein Punkt: Die Talkshows haben keinerlei Mangel an Themen (wie "Haben Sie schon einmal mit Ihrem Sohn geschlafen?" oder "Ist Ihr Hund ein besserer Liebhaber als Ihr Mann") und Gästen, die sich hier der Öffentlichkeit ausliefern, "um sich einmal auskotzen zu können, einmal so zu tun, als ob man den Lifestyle der Reichen und Berühmten lebt. Dies alles für Gratis-Hotel mit Kabel-TV und beheiztem Pool. Einmal wer sein. Sympathien zu ergattern. Oder schockieren", wie es die Soziologin Vicki Abt von der Penn State University erklärt. Hintergrund: Immer mehr Menschen haben nichts mehr zu verlieren.
Die Dirigenten der TV-Wirklichkeit haben freilich handkantenscharfe Interessen. Sie sind nicht nur TV-Macher, nein sie haben die weltgrößten Magazine, Zeitschriften, Zeitungen und Verlage gleichsam in ihrer Hand, parallel einher (versteht sich) regieren sie ebenso die werbetreibende Industrie und nehmen via Mittelsmänner (oder direkt) überall politischen und wirtschaftlichen Einfluss. In New York gibt es die Finanzfirma Allen & Company. Sicher haben Sie von ihr noch nie gehört. Geführt wird das Unternehmen von dem Milliardär Herbert A. Allen (55), der alljährlich die ganz Großen des Gewerbes zu einer "Sommer-Konferenz" nach Sun Valley, Idaho, einlädt. Jeden Juli versammelt er hier für fünf Tage rund 150 Spitzenkräfte des Entertainmentgewerbes. Freilich finden sich hier ebenso die Wirtschaftsgrößen wie Coca-Chef Roberto C. Goizueta, Softwarekönig Bill Gates neben Medienmogul Rupert Murdoch "zu Gesprächen über alle möglichen Geschäfte ein". Hier kommt die Welt in Bewegung, nicht im UN-HQ zu New York oder bei der NATO in Brüssel. Bei diesen "Konferenzen" zwischen Golf, Tennis und Corona-Bier werden die Take-overs der besonderen Art ausgehandelt. Beispiele: Der Reifenhersteller Redstone kaufte VIACOM auf, Columbia Pictures ging an SONY. Aus Auswuchs davon wird es immer mehr einen Kampf zwischen Quoten und Werbeindustrie geben. Den für sich idealen Zustand hat der Waschmittelkonzern Procter & Gamble (Ariel, Pampers, Valensina) mit der RTL-Serie Springfield Story verwirklicht: Der Industriegigant produziert die Serie selbst und liefert die Werbung gleich inklusive mit und verschleudert die erfolgreiche Serie für die Sender weltweit für ’nen Apfel und ’ner Ei. Wetterschauen werden inzwischen auch von den unterschiedlichsten Werbekunden "präsentiert". Wird eines Tages die TAGESSCHAU vom Axel-Springer-Verlag "präsentiert"? Wie auch immer, der teuersten Sendeplätze für Werbung sind inzwischen die letzten 30 Sekunden vor 20 h in der ARD. Und wer sponserte noch die letzte Fussball-WM-Übertragung mit sicherlich hohem "Jugend-Approach"? Richtig, der KAUFHOF aus der Metro-Gruppe.
Während der Australier Murdoch heute die englische Presse regiert und uns die knackigen "Seite 3-Busengirls" bescherte (die inzwischen überall abgekupfert zum Fleischbeschau kommen, na ja gut, manche sind ja wirklich nicht übel), hat es in Italien Berlusconi erreicht, wovon viele Machtmenschen träumen: Er selbst wurde zum staatstragenden Premier mit finsterem Hintergrund - er wurde zum Showmaster der Macht. Dies freilich mit tatkräftiger Unterstützung der Geheimloge P2, deren Mitglied Berlusconi ist. Die "neue Ordnung" oder "Weltordnung" greift. Nach den politisch-wirren Vorstellungen der Mächtigen, werden die Massen manipuliert. Im Falle Berlusconi muss gesagt werden, dass das erklärte Ziel der P2 es ist, die totale Kontrolle der öffentlichen Meinung zu übernehmen! Die Verstrickungen sind mehr als interessant: Berlusconi arbeitete Hand in Hand mit Bettino Craxi, der inzwischen als Pate der MAFIA enttarnt wurde und seine Helfershelfer in Berlusconi's Unternehmen einbrachte. Dennoch, Berlusconi ist immer noch Chef von der zweitgrößten europäischen Medien-Schmiede nach Bertelsmann in Europa - der Fininvest SpA (dazu zählen die führenden privaten italienischen und spanischen TV-Kanäle, die größte Kino-Kette Italiens, das spanische Estudio Roma-Filmstudio, Bauunternehmen und Fluggesellschaften sowie Groß- Druckereien, Immobilien und Handelsketten). Ein "Ausrutscher"? Vergessen Sie es, hier in Deutschland ist der Herrscher der Zelluloidkonserven niemand anderes als Leo Kirch (beteiligt an Sat1, DSF und Axel Springer Verlag), der jüngst einen Coup landete - seine Beteiligung bei Berlusconis Firma Mediaset. Kirch, der seine Finger an allen bestimmenden Positionen in Deutschland wirbeln lässt, ist Freund von Kohl, Thoma, Stolte, Waigel, Stoiber und Friede Springer. Der ehemalige ORF-Chef Gerd Bacher ist nun Kirch-Berater und ohne Deutschlands einflussreichstem Anwalt Joachim Theye geht sowieso nichts. Der mächtige Handelshaus-Chef und Milliardär Otto Beisheim (METRO-Gruppe, KAUFHOF, Horten) unterstützte Kirch großzügigst mit 700 Millionen DM und wurde damit zum wichtigen Partner für Sat1. Es geht hierbei nie um peanuts (so die Deutsche Bank in Anbetracht der Schneider-Affäre), sondern um Hunderte von Millionen, natürlich nicht primär Zuschauer, sondern DM, Lire oder Dollar. Da ist es kaum verwunderlich, wenn all jene Mächtigen im Multi-Media-Business hoch-aktiv sind und überall präsent auftreten: TV, Rundfunk, Print-Medien, Video- und Kino-Produktionen. Hier finden wir unsere Einpeitscher und Ablenker von den Realitäten wieder. Kein Wunder also, wenn die Verlagsgiganten gleichzeitig Privat-TV betreiben und die "Daten-Autobahn" den süchtigen Info-Surfern feilbieten. "Multi-Media" sei hier nur genannt. Und ich will den "König Microsoft", Bill Gates, erwähnen, der neben seinem 60 MB-dicken Microsoft PC-Betriebssystem "Fensterln 95" noch andere Absichten mit der Welt hat, schließlich will auch er nicht nur der "reichste Manager" der USA sein. Nachdem er nun wohl die ganze Computer-Technologie (und damit die anwendende Welt-Industrie, -Verwaltung und -Kommunikation in den Sack steckt, Mac-User sind davor bewahrt und kommen schon längst ohne "Windows" aus) in den Griff bekam, versuchte er sich auch gleich mal an der Medienfront (nicht ausgeführt werden soll der Clou, als er am 25. August 1995 die englische Gesamtauflage der TIMES so nebenbei aufkaufte und mit einer auffälligen "Windows 95"-Werbung kostenlos abgab) und erwarb die Rechte vom Rolling Stones-Song "Start me up" für einen Werbeclip. Doch Gates ist noch nicht satt, er greift "nach den Sternen" und packt ins neue Betriebssystem gleich die Zugangssoftware zum freilich Microsoft-eigenen neuen Online-Netz, dessen Inhalte Gates auch mitprägen will. Dafür will er sich an CNN beteiligen, dem größten Nachrichtensender der Welt. Ein Ende in Sicht? Nein, auch an der Firma von Steven Spielberg will er sich maßgeblich beteiligen und mit NBC hat er sowieso schon ein Abkommen besiegelt. Gilt zu hoffen, dass diese Ambitionen von irgendeinem Kartellwächter gestoppt werden.

Bleiben wir doch noch in Bella Italia. Hier hat die Präsenz des Fernsehens einen besonderen Stellenwert. Das gemeinsame Essen im Familienkreis ist immer noch ein zentrales gesellschaftliches Ritual und das Medium Fernsehen als ständiger Gast in den Familien hat bei den wichtigsten gesellschaftlichen Veränderungen des Landes in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend mitgewirkt. Erst das Fernsehen verschaffte der Nation eine gemeinsame Sprache und gemeinsame, säkuläre Götter. Hier sind Showmaster fast so populär wie der Papst und wahrscheinlich heute noch einflussreicher als jenes Kirchenoberhaupt. Unablässig bleut heute das Fernsehen den Italienern ein, wie schön es ist zu konsumieren. In keinem anderen Land Europas ist das Fernsehen derart krass kommerzialisiert wie in Italien - und das ist im wesentlichen Silvio Berlusconi zu verdanken. Bereits 1981 formulierte er es so: "Fernsehen ist ein Dienstleistungsbetrieb für den Werbekunden." Auch wenn die gute alte Tante RAI als öffentlich-rechtliches TV sich lange wehrte, Berlusconi's Sender nahmen ihm nicht nur 50 % der Zuschauer weg, sondern noch mehr Werbegelder. Während hierzulande schon geraume Zeit von neuen Werbezeiten und/oder höheren Gebühren die Rede ist, ist das öffentlich-rechtliche TV in Italien jetzt auf Berlusconi's Richtlinie eingegangen und sendet in den Äther eine unendliche Werbefläche hinein, um es zu einem Verkaufsinstrument zu machen. Immer wichtiger wird dabei die "Telepromotion", der Direktverkauf von Produkten via Bildschirm. Abend für Abend unterbricht der Journalist Gianfranco Funari im Berlusconi-Sender Rete Quadro mehrfach seine Nachrichten-Show und ruft "Reclame", um in ein Eckchen des Nachrichtenstudios zu gehen. Dort nimmt er sich z.B. einem leckeren Schinken an, den er von einer frech-gekleideten jungen Dame serviert bekommt und dann freilich die Speise anpreist während die Bestelladresse eingeblendet wird. Nachrichten als "elektronische Kaffeefahrt",", dann geht mit dem redaktionellen Teil weiter. Hier setzte das kommerzielle Privatfernsehen auch eine Norm für das Öffentlich-Rechtliche. Während ursprünglich die Programmstruktur der RAI sich in erster Linie an Bildungszielen orientierte, also an der pädagogischen Qualität der Programme, veränderte sich dies inzwischen auf Schwerpunkte wie "Unterhaltungswert und der Höhe der Einschaltquote", wie die Autorin Regine Igel in einer Berlusconi-Biographie registrierte. Die Unterschiede zwischen öffentlichen und privaten Sendern sind 1995 nicht mehr sehr erheblich.

Verrückt: Das massive Übergewicht der seichten Kost sowohl beim privaten als auch beim staatlichen Fernsehen entspricht den Zuschauerwünschen. Nachrichtensendungen erreichen in der Regel kaum noch ein Drittel der Sehbeteiligung von schlichten Unterhaltungssendungen. Amüsierindustrie und Ablenkungs-Fernsehen. Und, freilich, die täglichen Talkshows, wie etwa jene die sich "Maurizio Costanzo Show" nennt, an der inzwischen in Italien niemand vorbeigehen kann, will er wirklich berühmt werden. Kein Wunder, wenn das italienische Sozialforschungs-Institut EURISPES feststellte: "Die einzig vom Fernsehen geschaffenen Sterne sind in Wirklichkeit Sternschnuppen. Sie leuchten nur, solange sie im Äther sind, und verbrennen unwiederbringlich im Kontakt mit der realen Atmosphäre des Landes und Lebens." Dennoch, schaut man einmal nach Brasilien, klappt das dahinterstehende Prinzip wunderbar. In Brasilien ist es die Fernsehgesellschaft TV Globo, welche nicht nur die Nummero Uno im lateinamerikanischen Mediengeschäft ist, sondern auch der viertgrößte TV-Anbieter der Welt. Roberto Marinho, ein heute 90 Jahre alter Haudegen, hat mit unfeinen Methoden sich zum Herr der Bildschirme aufgeschwungen, er zählt somit (lt.FORBES) zu den reichsten Männern der Welt. Kein Wunder, er hat das Medium fest im Griff: Radio, Fernsehen, Videoproduktionen, Buchverlage, Zeitungs- und Zeitschriften-Verlage. Außerdem beliefert er die Welt mit seinen "Telenovelas", seinen seichten Seifenopern, die über Satellit aus Rio selbst in der letzten Indiohütte am Amazonas zu sehen sind - rund 30 der 160 Millionen Brasilianer können weder lesen nach schreiben, aber Fernsehen ist für sie das einzige Fenster zur Welt! Mit den "Telenovelas" prägt Globo selbst den Alltag der Buschmänner. Gäbe es nicht die Telenovelas gäbe es heute keine "Lindenstraße" und keine "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" im deutschen Angebot. Bis nach Russland werden die Ideen verkauft. Die Globo-Novelas beeinflussen die Mode, den Lebensstil und das Konsumverhalten vieler Brasilianer. Jüngst ließ Globo einen Hermaphroditen in einer Folge auftreten und schon war das Thema der Doppelgeschlechtlichkeit wochenlang Brennstoff für die (Globo-)Presse. Um die Wichtigkeit, den Einfluss und Bedeutung dieser Seifenopern für die Zuschauer hervorzuheben, will ich hier ein Beispiel nennen. Im Dezember 1992 ermordete der Globo-Schauspieler Guilherme de Padua seine Kollegin Daniela Perez, die in einer Serie ein Liebespaar spielten. Privat wollte Perez aber von ihrem Kollegen nichts wissen, weshalb sie von ihm umgebracht wurde. Dieser Mord erregte mehr Aufsehen als der gleichzeitige Rücktritt des damaligen Staatspräsidenten Fernando Collor de Mello! Noch heute pilgern Tausende zum Tatort an einer Schnellstraße in Rio, um die Ermordete zu beweinen.

Dabei spiegeln die Novelas nur eine Gaukelwelt der Reichen, "aber vor dem Fernsehen vergessen die Armen ihre schäbige Wirklichkeit", wie es SPIEGEL-Autor Jens Gluesing ganz richtig festmachte. Fernsehen ist eine Alltagsflucht. Und "Doktor Roberto" ist eisenhart, Kritiker zensiert er nicht, er entlässt sie. Für den Chef sind seine Medienaktivitäten nur darauf ausgerichtet, seinen "reinen Unterhaltungskonzern" im Lauf zu halten - und mit seinen Stimmen Politik zu machen. Viele Brasilianer halten Marinho für den mächtigsten Mann des Landes. Ohne die Unterstützung von Globo wird niemand in Brasilien Präsident, weswegen die meisten Politiker den Medienmogul hofieren. Und nicht nur dies: Der ehemalige Finanzminister Rubens Ricupero war so unvorsichtig und erklärte einem Journalisten ins Mikrophon, scheinbar nicht wissend, dass das Gespräch eine Livesendung war, er habe keine Skrupel die Daten der brasilianischen Volkswirtschaft zu fälschen, wenn dies dem Marinho-Präsidentschafts- Favoriten Heinrique Cardoso diene.

Der Blick auf die Einschaltquoten beeinflusst langfristige Strategien, führt zu spontanen Programmentscheidungen wie im Oktober 1994 hinsichtlich der ursprünglich fürs 3. Programm geplanten UFO-Reportage des NDR, die sich plötzlich im ARD- Hauptprogramm wiederfand. Der Quoten-Druck führt derweilen zu brennenden Fragen auf der Führungsetage der Fernsehnation und sorgt dafür, dass die Redaktionen und ihre Journalisten zum Clown werden. Klar ist, dass die Quote zur Ikone der modernen Fernsehgesellschaft geworden ist und den TV-Rummeplatz befriedigt. Von Oben herab ist der Fernsehzuschauer nur noch als Konsument interessant. RTL-Medienforscher Stephan Klebe: "Die Quote ist bei uns nun mal das ein und alles. Sie ist Grundlage für jede Programmentscheidung." Dort, wo die Quote regiert, ist der Zuschauer nur noch eine Marionette der werbetreibenden Industrie und der Journalist der Pausenclown zwischen den Werbespots. Und: Für das Quotenfernsehen reduziert sich die Mündigkeit der Bürger auf die Benutzung der Fernbedienung an seinem Konsumartikel TV-Gerät. In diesem Umfeld definiert sich "Qualität" nur noch per Einschaltquote. Wie hatte es bereits Axel Springer formuliert: Der Erfolg von BILD stellt sich täglich am Zeitungskiosk ein - hier entscheidet sich was für Millionen gut ist. Ob dies Geschmacks- und Moralsprüche einer immer mehr schwindenden Kultur- Gesellschaft spiegelt? Ich zweifle daran, dennoch fährt der Zug in Richtung Rummelplatz. Ein Rummelplatz, um den sich dieser Tage die Gewaltigen streiten, da sie via Digital-Decoder die bisherigen Kapazitätsengpässe im Kabelnetz "beheben" möchten und uns Hunderte neue Kanäle für gutes Geld anvertrauen wollen. Sogenannte "Spartenkanäle" sollen uns alle ruhig stellen und wie auch immer befriedigen - Pay-TV ist neben der vielbeworbenen "Info-Highway" des INTERNET das Massengeschäft der Zukunft (als Gemeinschaftsgeschäft der Industrie mit den entstaatlichten und privatisierten Telecom-Anbietern und einer Reihe von Netz-Betreibern, wie z.B. von wegen Atomenergie in der Kreide stehenden Energie-Unternehmungen!). Der Berliner Esoterik-belastete Sender FAB bekam bereits den Zuschlag für die nationale Verbreitung, wir berichteten. Wann kommt der erste UFO-TV-Kanal in der Moderation von JvB und EvD?

Kein Wunder also, wenn es einen Widerspruch zwischen dem definierten "interest of the public" und dem Gesichtspunkt des "public interest" gibt. Verhaltensnormen wie Nächstenliebe, Bereitschaft zum Verzicht, Altruismus und Brüderlichkeit entstammen einer christlichen Zeit und verlieren in einer vom Wettbewerb geprägten Gesellschaft an Einfluss. Wir stehen vor einer apokalyptischen und kapitalistischen Neuorientierung unserer "Werte" in einer immer mehr abkühlenden Zivilisation, in welcher der Mensch immer weniger zählt. Parallel einher sucht das menschliche Individuum in Anbetracht der genannten Defizite nach neuen "Werten", Zielen und Horizonten, die das zielorientierte Fernsehen ihm oberflächlich und marktgerecht anpreist (z.B. in immer geschmackloser abgezogenen Talkshows), um auf die dahinterstehenden Strukturen wie zum Beispiel Verlage und deren Produkte zu verweisen. Die Mächtigen sehen die Medien als Erziehungsprogramm, die Vorbilder präsentieren und Charakter prägen können. Diese Zivilisationsaufgabe hat das Quotenfernsehen ad acta belegt. Auch wenn die Basis tradierter Sozialnormen durch und durch brüchig geworden ist und der gesellschaftliche Zusammenhalt schwindet, steht die Marktwirtschaft für Wettbewerb, und der Markt schafft keine Moral. Der Fluchtpunkt Esoterik & New Age wird hier marktwirtschaftlich erkannt und ausgenutzt. Die andere Realität ist den Verantwortlichen nur dienlich, da sie von den wirklichen und handfesten Problemen so schön ablenken und Revolutionäre (oder solche die sich in extremistischen, staatsschädlichen und wirtschaftsfeindlichen Kreisen dafür halten) auf Irrpfade führen. Die Wirtschaft soll für wenige Bosse und ihren Pfründen ungestört laufen, also muss man gelegentlich Opium ans Volk austeilen (früher nannte man dies Brot und Spiele) und ihm neue Ideologien einpflanzen. Masseninteressen und -begeisterungen wie für Themen der Para-Szene kann man billig dafür missbrauchen. Ablenkung um alles... Die Hälfte aller Zuschauer sieht keine Nachrichtensendungen mehr, wir leben in einer Gesellschaft, die sich von Bildern betäuben lässt und ihre Urteilskraft verliert. Ergebnis der Fernsehforschung in Kabelhaushalten: Je vielfältiger das Programmangebot, desto weniger werden Nachrichtensendungen eingeschaltet. Innenpolitische Dokumentationen und Auslandsreportagen sacken in der Quote ab - und dies ist europaweit zu beachten; Parashows wie die UFO-Sendung der NDR-Unterhaltungsabteilung vom Oktober letzten Jahres dagegen bringen Überraschungs-Quoten-Hits (gähn, in den USA wird seit Jahren bereits jede eröffnende Zuschauer-Zahlen-zählende Saison mit UFO-Shows eröffnet und schon klingelt es in den Kassen). Die Realitäten und ihre Wahrnehmung sind mehr und mehr nicht mehr Sache des Rummelplatzbesuchers. Die Fiktionen nehmen ihn parallel einher mehr und mehr in Griff, früher waren jene Meinungsbildner die anspruchsvolle Programme sahen, sie prägten am Arbeitsplatz oder im Bekanntenkreis die Diskussion und nahmen Einfluss auf Stil und Geschmack - dies ist längst vorbei. Gleiches gilt für jene Redakteure, die früher auch denen das Wort erteilten, die sich Gedanken über die Zukunft machten, die Widerstand leisteten und öffentliche Kontroversen anzettelten. Heute ist sensationsheischende Konformität gefragt. Das überbordende Unterhaltungsangebot schafft eine neue Klassengesellschaft: Auf der einen Seite die Klasse der Informierten, die die Medien gezielt nach Nachrichten, Hintergründen, Kommentaren und Diskussionen absuchen und Materialien zur eigenen Meinungsbildung sammeln. Auf der anderen Seite eine an der Sedativ- und Ablenkungswirkung der Medien interessierte Rummelplatz- Mehrheit. Die Gefahren für die Demokratie sind unübersehbar. Der Erhalt und die Sicherung eines Fundus gemeinsam erlebter Kommunikation ist jedoch Voraussetzung für zielgerichtetes Gemeinschaftshandeln. Die Öffentlich-Rechtlichen gelten bei den Bürgern als kompetente Nachrichtenvermittler, was der UFO-Show vom letzten Oktober die besondere Würze gibt. Dies begründet sich darauf, dass die immer komplizierter werdende Welt beim Buerger nach Tiefenschärfe im TV fragen lässt, um aktuelle Ereignisse einzuordnen und ihre historischen Bezüge aufzuzeigen. Hier sollen Entwicklungslinien verfolgbar sein und Beurteilungsmaßstäbe vermittelt werden.

Schizophren ist dies durchaus: Der biertrinkende Rummelplatz-Besucher will auf der einen Seite "dramatisiertes Reality-TV" (=Schlüssellochperspektive und Nervenkitzel), aber gleichsam auch irgendwo kompetente Nachrichtenvermittlung zur eigenen Orientierung. Doch wenn ARD/ZDF sich an diese ureigenen Aufgaben und Maßstäbe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Mediendschungel halten, gehen sie bei den Zuschaltzahlen unter - fehlt es dem Betrachter an vernünftigen Orientierungspunkten? Aber ist es ein tragbares Mittel, wenn die Öffentlich-Rechtlichen wie im Fall der UFO- Unterhaltungssendung sich dann auf die Ebene der Privaten herabbegeben? Orientierungslosigkeit in den Führungsetagen scheint mir hier verantwortlich zu sein, ein Zeichen der Zeit - trotz der unverschämten Honorare dort. Die Öffentlich-Rechtlichen erreichen immer noch 40 Prozent aller Zuschauer (wenn auch immer mehr jene der über 50jährigen- und dies ist ein echtes Problem!), von dieser Basis aus muss es ein Medium bleiben, das Maßstäbe setzt für eine Öffentlichkeit, die sich nicht kritiklos vom Strom der Zeit mitreißen lässt, sondern die Aufklärung verlangt, an Entscheidungen mitwirkt und die Zukunft mitgestalten muss. Maßstäbe im Medienurwald zu setzten und Orientierungspunkte für Aufklärung zuschaffen - das sind die eigentlichen Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in unserer Zeit und nicht Angst und Panik wie in der UFO-Show zu nähren. Man schreibt es sich zwar auf die Fahnen, die verantwortlichen Redakteure würden auch denen das Wort erteilen, die sich Gedanken machen, die Widerstand leisten und damit öffentliche Kontroversen anzetteln, in der Realität muss dies jedoch nicht immer klappen - siehe die unsägliche UFO-Woche im Oktober 1994.
Das Fernsehen schlägt die anderen Medien so leicht aus dem Feld, weil es ein Bildmedium und billig verfügbar ist. Gleichfalls entwickelt es die suggestive Kraft des bewegten Bildes - gegen das Fernsehen ist kein Kraut gewachsen. Der Mensch als solcher will auch vor dem TV-Gerät als Geschöpf mit Grips bedient werden, so jedenfalls wird jeder TV-User auf eine entsprechende Fragestellung antworten. Aber die Realität sieht ein bisschen anders aus; der Mensch ist der ideale Rezipient eines medialen Gesamtkunstwerkes im globalen Dorf der fernsehgerechten Wirklichkeiten.
Wenn er Radio hört oder Zeitung liest, projiziert er diese Informationen auf den Bildschirm seiner Vorstellungskraft, gezeugt aus Idealen, Mustern und Konzepten der Fernseh-Wirklichkeit. So wird das "innere Auge" beim Hören und Lesen dem TV-Bild der Welt und ihrer paranormalen Inhalte aufgeschaltet. Es gilt also den Umgang mit der medialen Bilderwelt zu lernen, damit der Nutzer mit seinen Medien zurechtkommen kann und zufrieden sein wird, wenn er je nach Bedarf die Quellen für seine Information und auch Zerstreuung (dem ihm niemand wegnehmen will) einsetzt. Die Realisierung, das gerade weil das Fernsehbild nicht die Wirklichkeit ist, sie aber soviel Spaß bereiten kann, wenn man sie verfolgt, kann ein Schritt in die richtige Richtung sein. Fernsehkritik wird immer die Frage stellen, wo die Realität bleibt. Darauf lässt sich inzwischen aber die Gegenfrage stellen: Welche bitte schön? Denn eines ist klar: Wir brauchen sie immer weniger, die gute, die abscheuliche alte Wirklichkeit. Pseudorealitäten für eine andere Wirklichkeit vermitteln uns die Flimmerbilder. Schon jetzt überholt das Fernsehen die Realität und erfindet sie zum zweitenmal, sei es in der Seifenoper, dem Reality-TV oder in Gefühlsattacken unendlicher Serien.

Natürlich fordert das "rund-um-die-Uhr-TV" nach immer neuen Sensationen, Bildern und Gesichtern. Mit publikumsbesetzten Talkshows wie Meiser (präsentiert von FUNK UHR) kommt man relativ billig über die Stunden-Runden - hohe Zuschaltquote, dicke Werbe-"Inseln" und noch Eintritt-zahlendes Studiopublikum für die "lebensnahe" Atmosphäre, die via Aufheizer zurechtgekünstelt wird. Unter der Hand weiß man, wer sich ins Fernsehen begibt, der kommt darin an. So gibt es richtiggehende Talkshow- Reisende, die man schon immer irgendwo schwätzen sah und die deswegen scheinbar als Talkshow-erprobte Größe gerne von Studio zu Studio weiterschiebt. Jeder will mal ins Fernsehen. Wie mir eine RTL-Talkshow- Redakteurin verriet, melden sich täglich Dutzende Zuschauer, die endlich auch mal mit einem "aufregenden Thema" oder ihrer Meinung vor die Kamera treten wollen. Aber es gibt auch nicht wenige (jene, die gerade ihr neuestes Buch oder ihre aktuelle CD in die Kamera halten, ja es gibt sogar Unternehmen die vorab schon ihre selbstgezeugten "Königskinder" als Talkgast anbieten ehe ihr Produkt überhaupt Bestand am Markt gezeigt hat und erschienen ist), die mit ihren volksnahen Auftritten möglichst große Rendite zu erwirtschaften trachten - in Wahlstimmen, verkauften Buchexemplaren, Kinobesuchern oder anderen Massenvaluten gerechnet. Hier gibt es dann ein unterschwelliges oder teilweise gar auch offen gezeigtes Agreement zwischen Talkgast und Redaktion - eine Hand wäscht die andere.
Dabei ist zu beachten, dass das Fernsehen stets seinen Reizpegel erhöhen muss. Langweiler sind Quotengräber, Menschen differenzierter Betrachtungsweisen dürfen sich höchstens in ebenso differenzierten Programmen präsentieren, die man mit der Lupe suchen muss und die eh keiner anschaut. Klipp und klar: Ins Fernsehen zu kommen heißt also, Fernsehen zu werden, sich seine Funktionsweise anzueignen und sich seinen "Forderungen" zu unterwerfen. Jedenfalls nicht allzu beharrlich auf jenen Teil des eigenen Ich zu bestehen, das nicht fernsehtauglich aufzubereiten ist. Dazu zählt die kleine Truppe der sacherfahrenen UFO- und Para-Skeptiker. Para ist In, berechtigte Kritik daran nicht. Warum? Der Kreis schließt sich mit dem Medien-Geschäft. Und dieses ist, wir hatten es schon einmal, dazu da, um für seine Kunden und Käufer den "Spannungsbogen" zu erhalten...

Abschließend lässt mich jedoch eines beruhigt aufatmen. Weder wird die "Multimedien- Zukunft" vom Verbraucher so angenommen, wie es sich Politik und Wirtschaft wünschen, noch hat die Werbe- maschine namens "Unterhaltungsmedium Fernsehen" es geschafft, dass die Haushalte wesentlich ihren TV-Konsum wegen des angeblichen Mehrangebots ausdehnen. Ganz im Gegenteil ist die Verärgerung der Werbeopfer wegen den großen "Werbeinseln" immer öffentlicher geworden, so dass sich der mündiger Bürger vor den gefürchteten Spots wegzappt. Die TV-Gewaltigen und ihre rein wirtschaftlich- interessierten Hinterleute in der Werbeindustrie fürchten nun, die Zuschauer zu vergraulen und doch nicht mehr Geld zu verdienen. Es müssen sich jene Fernsehverantwortlichen nun genau überlegen, ob tatsächlich mehr TV-Programm mit mehr Werbung auch gleichzeitig die Wünsche der Kunden befriedigt. Leider nicht der Qualität des hochwertigen Programms wegen, sondern weil in der Seichtigkeit zwischen Sex & Crime die Leute einfach nicht soviel Werbung wollen. Show-Effekt-Fernsehen als Amüsierindustrie- Produkt - der Preis für Kultur und Zivilisation ist hoch, vielleicht zu hoch?

Was sich hier wie eine Verschwörungs-Paranoia anhört ist leider keine: Meine Quellen für diesen Beitrag sind TV Today Nr.15 & 16/1995, SPIEGEL-Special Nr.8/1995 (TV-Total), Abendzeitung vom 26.8.1995 und Der SPIEGEL Nr.32/1995.

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