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08.12.1999


    
Outer Space News von CENAP

Die letzten Raumfahrtgroßtaten des 20.Jahrhundert

Jetzt wissen wir mehr: China greift nach den Sternen. Mehr als 38 Jahre nach dem ersten raumflug von Juri Gagarin will China nach Russland und den USA die dritte Nation der Erde werden, die Astronauten (hier "Taikonauten" genannt) ins All schicken kann. 1992 hatte Chinas Staatschef Jiang Zemin den Startschuß gegeben, auch wenn technisch und ökonomisch die große Nation sich das Programm eigentlich nicht leisten kann. Die "Große Reisschüssel" muß weit aufgemacht werden, um sich dieses Prestigeprojekt zu leisten. Seit Ende 1997 trainieren bereits die ersten chinesischen Taikonauten am russischen Gagarin-Raumfahrtzentrum während außerhalb von Peking ein eigenes Ausbildungs-Camp aufgezogen wurde. Die besten Piloten der chinesischen Luftwaffe wurden zu den neuen Sternreisenden berufen. Nun feierte am 1.Oktober 1999 China den 50.Gründungsjahrestag pompös und die Welt erwartete den Start des ersten chinesischen Raumschiffes an der Spitze einer Rakete vom Typ "Langer Marsch", welches bereits am Raumfahrtzentrum in Jiuquan in der Provinz Gansu bereitstand. Die bisher noch unbemannte Raumkapsel "Shenzou" selbst ist dem russischen Sojus-Modell ähnlich. Der Start erfolgte dann am 21.November mit einem medialen Paukenschlag, bald darauf ging die Kapsel problemlos in der Wüste der inneren Mongolei nieder.

Während gleichsam China in den Kosmos vorstieß war das US-Weltraumteleskop Hubble blind geworden, nachdem vier Gyroskope (sie fangen die Achsendrehung der Erde auf) zur Zieleinstellung versagten und seine Reparatur mit dem Shuttle-Service der NASA hinzog; für die Astronomen des Planeten Erde eine Geduldsprobe. Mehrfach verschob die NASA den Start der Raumfähre Discovery mit dem Service-Team, welches die dringend benötigten Ersatzteile in den Orbit bringen sollte. Notwendige Kabelüberprüfungen der Shuttles sorgten für die Verzögerungen, nach dem schrecklichen Challanger-Unfall 1986 (so lange ist das schon wieder her!) hat also "safty first" Vorrang.

Doch auch in Amerika steht eine Weltraummission zum Ende des 20.Jahrhunderts im Blickpunkt - es hieß mal wieder "Mars wir kommen!" Nach dem peinlichen Verlust der Raumsonde Mars Climate Orbiter wegen eines simplen Umrechnungsfehlers von englischen nach Maßeinheiten des metrischen Systems wartete die Welt nun auf die Mission der »Mars Polar Lander«-Raumsonde (MPL) nahe des eiskappenbedeckten Südpol auf dem Roten Planeten. Ein Prestige-Projekt (Kostenpunkt 230 Mio Dollar) sondersgleichen, da es ums NASA-Ansehen und um die Gelder für künftige Missionen ging - MPL sollte die Scharte ausbügeln, die durch den Verlust des Mars Climate Orbiter entstanden war. Seit 1962 gab es 25 Missionen auf dem Weg zum Mars, aber nur jede zweite verlief erfolgreich. Die die Liste der wichtigsten Flops: 1962 startete die erste russische Sonde Mars 1, aber man verliert den Kontakt zur Sonde; 1964 versuchten sich die USA mit Mariner 3, aber die notwendige Flugbahn wurde nicht erreicht; 1988 ist Phobos 1 der UdSSR als "Verschollen im Weltraum" zu kategorisieren; die Nachfolgesonde Phobos 2 ereilt ein ähnliches Schicksal, irgendwann brach der Funk- und Steuer-Kontakt zu ihr ab; 1993 explodiert wahrscheinlich der amerikanische Mars-Observer kurz vor dem Ziel. Die multinationale Mars`96-Expedition scheidert und die Sonde stürzt noch über der Erde in den Pazifik ab. Das amerikanische Projekt "Surveyor `98" bestand aus dem "Mars-Tandem" Mars Climate Orbiter (der wird aber seit September 1999 vermisst) und dem Mars Polar Lander.

Man erwartete einen spektakulären Erfolg wie mit dem "Pathfinder", sobald MPL als "Auge und Ohr" der Menschheit auf dem nicht mehr ganz so fremden Weltenkörper dient. Neben den Bodenproben auf der Suche nach dem wichtigen flüssigen Wasser sollte aber auch ein »30 Dollar-Mikrofon« eingesetzt werden, um erstmals planetare Wetter-Aktivitäten abzuhorchen. Erstmals erwartete man Audio-Töne vom Wind und wehendem Sand aus einer fremden Welt, nachdem wir bisher schon wunderbare visuelle Informationen von unserem Nachbarplaneten bekamen. Die Welt wartete darauf, erstmals Töne von einer anderen Welt zu empfangen. MPL sollte im Zentrum eines 4.000 Quadratkilometer großen Mars-Tales aufsetzen, mittels Fallschirm und Bremsraketen eine "weiche Landung" ermöglicht werden. Es war vorgesehen, dass die Sonde zehn Minuten vor der ersten Berührung des Marsbodens zwei basketballgroße Minisonden namens Deep Space 2 aussetzt, die sich dan bis zu zwei Meter tief in den Boden bohren und dort nach Wasser suchen. Ein großes Zittern vor dieser letzten revolutionären Tat der Raumfahrt stand Anfang Dezember an. Ist das Weltall nun leer, auch leer von Geräuschen - oder von Geräuschen erfüllt (und damit vielleicht auch irgendwo von Geräuschen, die Lebewesen erzeugen)? Das ist schon eine sehr faszinierende und spannende Fragestellung gewesen, die nach einer Antwort suchte.

Am Abend des 3.Dezember 1999 war es einmal mehr interessant sich auf CNN zuzuschalten, wo die Spannung zwecks "Mission to Mars" fast schon spürbar wurde, als die verantwortliche Crew der NASA in Pasadena´s Jet Propulsion Laboratory dem ersten positiven Signal entgegenfieberte, dass der Polar Lander zumindest gut auf dem Mars angekommen war. Live wurde ins kalifornische Kontroll-Zentrum geschaltet und plötzlich sprang der erwartungsvolle Funke über. Würde es klappen? Zur vorausberechneten Zeit, 40 Minuten nach dem Aufsetzen, kam kein Signal; mancher begann zu beten, stand mit gefalteten Händen im Kontrollzentrum; die Gesichter der Verantwortlichen waren versteinert, blass oder vor Nervosität gerötet. Die Wissenschaftler, die Medien und die Zuschauer hielten den Atem an. Sollte ausgerechnet das letzte Großprojekt der Planetenforscher in den letzten Tagen des 20.Jahrhunderts (dem Weltraum-Zeitalter) scheidern? Das "Waiting for signal from Mars" setzte ein, die Marssonde blieb stumm. Die Leute in Pasadena bewiesen sogar ihren Hang zum Spaß, als sich das Führungsteam den internationalen Kameras stellte und auf einem Transparent ihre Sonde unmißverständlich und symbolisch aufforderten MPL phone home (wer den Witz nicht versteht, dem sei er hier erklärt: Spielbergs E.T. aus dem gleichnamigen Kinderfilm wurde mit dem Spruch "E.T.phone home" [eingedeutscht als "E.T. will nach Hause telefonieren"] weltberühmt). Zwei Zeitfenster für NASA-eigene Funkbotschaften zum Mars verstrichen, nichts geschah, MPL reagierte nicht. Hatte MPL das heikle Landemanöver nicht überstanden? Oder war der MPL nur schräg aufgesetzt, wodurch das Ausrichten der Antennen erschwert werden könnte? Oder lag es an erschöpften Bordcomputerbatterien, die sich erst wieder aufladen mußten? Fragen über Fragen - Schweigen aus dem All die Antwort. Das Bangen nahm konkrete Formen an. War der MPL gar in der Marsatmosphäre verglüht? Die NASA machte auf Zuversicht...und wartete. The CNN-Anchorwoman "drückte MPL beide Daumen, dass es noch gutgeht". Es ging nicht gut, die NASA hörte niemals mehr etwas vom MPL - er war in den roten Marssand gesetzt worden und meldete sich nicht. Niemand weiß, ob er jemals wirklich den Mars erreichte.

Für die amerikanische Raumfahrt am Ende des 20.Jahrhunderts ging es um viel, gerade auch um die Frage wie es mit ihr weitergeht. Heftige Kritik prasselte auf die NASA ein. Eine einflussreiche Gruppe von Senatoren und Abgeordneten im UFO-Kongress hält die Weltraumagentur ohnehin für ein teures Relikt des Kalten Kriges und verlangt ihre Auflösung. Erreicht haben sie immerhin, dass der Etat der NASA seit den 80er Jahren nahezu jährlich geschrumpft ist. Was wiederum andere Kritiker auf den Plan ruft, die warnen, die NASA spare sich zu Tode wenn sie auf Qualitätskontrollen verzichte und gute Leute nicht mehr halten könne. Innerhalb der NASA tobt so seit geraumer Zeit ein Verteilungskampf um die knappen Gelder. Es gibt zwei Lager: das eine setzt auf die bemannte Raumfahrt, das andere auf Roboter. Jedes Lager sieht sich durch die jüngste Panne bestätigt. In den 90er Jahren war es wohl Präsident Clinton und seinem Vize Gore zu begeistern, die dem NASA-Chef Daniel Goldin zur Seite standen, weil sie begeisterte Fans des US-Raumfahrtprogramms sind. Unter dem Motto "besser, schneller und billiger" wurde die NASA gleichsam neu erfunden. Nach den jüngsten beiden Pannen um den Mars werden die Karten neu gemischt. Ein zunehmendes öffentliches Interesse für (reale) Weltraum-Unternehmungen ist zu verspüren, was auch in Angesicht des US-Wirtschaftsboom und einem Haushaltsüberschuß der NASA den Himmel quasi eröffnet. Das 20.Jahrhundert war das der Weltraumfahrt gewesen, nur in ihm konnte auch der Alien-Kult um die UFOlogie erwachsen. Doch in der Realität der Weltraumeroberung sieht es anders aus.


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