. | Zurück | C E N A P | |
21.08.2002 |
|||
Wieder macht Phantom Indiens Sommer spannend - mit tragischen Folgen Phantom-Psychologie und Hysterie an einem bemerkenswerten Fallbeispiel Von Jürgen Hein, dpa, 21.August 02. Neu Delhi (dpa) - Wieder einmal bringt die Jagd auf ein Phantom ein wenig Abwechslung in den unerträglich heißen indischen Sommer - aber mit tragischen Folgen. Vor einem Jahr sorgte ein mysteriöser "Affenmann" für Aufsehen, nun ist es der "Gesichtkratzer", und die Panik nimmt solche Ausmaße an, dass Menschen ums Leben kommen. Wenn es dunkel wird in den Dörfern von Uttar Pradesh im Norden Indiens, rufen Frauen ihre Kinder ins Haus und Männer bewaffnen sich mit Bambusstöcken und Gewehren. Sie haben Angst vor dem "Muhnochwa", dem Gesichtkratzer, und sie wollen ihn zur Strecke bringen. Es gibt keine Beweise für die Existenz des fliegenden Unwesens, das mit blinkenden Lichtern über seine Opfer herfallen soll. "Ich habe eines Nachts das Licht über meinem Haus gesehen", sagt Ram Pal Rawat im Dorf Asandhara, "aber bevor ich schießen konnte, war es schon im Dorf Kadipur, und von dort hörte ich Schmerzensschreie." Menschen, die eindeutige Spuren aufweisen, sind aber nicht zu finden, obwohl der Gesichtkratzer schon 200 Opfer verletzt haben soll. Die Angst vor dem Phantom ist das einzig wirklich Gefährliche. Ein bewaffneter Mann, der Lichter sah und abdrückte, traf seine Mutter tödlich. Ein Mann wurde von einer Menschenmenge gelyncht, weil die Täter dachten, er sei der Angreifer. Und die Polizei schoss auf wütende Demonstranten, die Schutz vor dem Phantom forderten und einen Posten stürmten. Ein Mann kam ums Leben. Für Außenstehende ist die Hysterie schwer verständlich. Theorien über wild gewordene Insekten, die von Terroristen manipuliert worden seien, über Außerirdische und Roboter, über fliegende Untertassen oder über Wesen mit Hunde- oder Katzenkopf sind in Umlauf. Diese Beschreibungen lösen unter gebildeten Städtern Kopfschütteln aus. Aber auch wenn der "Muhnochwa" nur ein Trugbild ist - die Angst vor ihm ist real. "Die Dorfbewohner sind doch nicht blöd, dass sie seit einem Monat die ganze Nacht wach bleiben, um sich zu schützen", meint Mohammed Akil, ein früherer Gemeinderat von Asandhara. Wie gefährlich die Angst vor einer Bedrohung sein kann, hatte sich im Mai vergangenen Jahres am Stadtrand von Delhi gezeigt. Dort gingen Gerüchte über einen Affenmenschen um, der Leute nachts angreife. Auch damals war die Hysterie die eigentliche Gefahr. Eine Frau, die wegen der Hitze auf dem Hausdach geschlafen hatte und durch ein Geräusch aufgewacht war, floh so panisch die Treppe hinunter, dass sie zu Tode stürzte. Ein Mann, der sich verfolgt glaubte, sprang vom Dach seines Hauses und kam um. Und eine Menschenmenge verprügelte einen Mann, den sie für den Affenmenschen hielt. Das Ganze könne von einer Halluzination seinen Ausgang genommen haben, meinte damals Sanal Edamaruku von der Indischen Vereinigung der Rationalisten. "Solche eine Hysterie kann die Ausmaße einer Epidemie annehmen, wenn Gruppen von Menschen mit extremer Angst aufgeladen sind", sagte er. Die Polizei gab ihm Recht. Den Affenmann habe es nicht gegeben, er sei das Produkt einer Massenhysterie gewesen, hieß es in einem Untersuchungsbericht. Auch in Uttar Pradesh gibt es jetzt Hoffnung, dass die Panik wieder abflaut. Es hat angefangen zu regnen. Das kühlt die Gemüter ab, die Leute können wieder in ihren Häusern schlafen, und nicht jede Sternschnuppe oder jeder Kugelblitz löst Alarm aus. |
|||
Views: 1254 | |||
![]() |