. Zurück C E N A P

15.07.2003


    
In Peru will fast jeder schon mal ein Ufo gesehen haben

Ein Luftwaffenoberst soll jetzt den ganzen Untertassen-Mythos entzaubern - Der frühere Testpilot hat vor Jahren selbst ein "goldenes Ei" gejagt

Wenn Außerirdische auf die Erde wollen, wo landen sie da? In Peru natürlich. Über dem ehemaligen Inkareich scheint es vor mysteriösen Silberscheiben, Farbkugeln und Lichtpunkten nur so zu wimmeln. Viele Peruaner schwören, sie hätten so etwas schon mit eigenen Augen gesehen. Oberst José Raffo Moloche ist ein heiterer Mensch, und auch seinem neuen Aufgabengebiet tritt der frühere Testpilot der peruanischen Luftwaffe mit einer guten Portion Witz gegenüber. "Fragen Sie lieber, wer in Peru so etwas noch nicht gesehen hat. Dann sind Sie viel schneller mit dem Zählen fertig", sagt er lachend. Von allen Luftwaffenoffizieren der Welt hat der Oberst wahrscheinlich den wunderlichsten Job. Er leitet das Büro zur Untersuchung anomaler Luftraum-Phänomene, das die peruanische Armee vor anderthalb Jahren geschaffen hat. Auch wenn der Oberst den Begriff Ufo sorgfältig vermeidet: genau darum geht es. Seine kleine Dienststelle in Lima soll die unzähligen Berichte über mysteriöse Himmelserscheinungen sammeln und aufklären, die in Peru umgehen. Schenkt man ihnen Glauben, dann geht es im peruanischen Luftraum sehr hektisch zu. Das ehemalige Inkareich muss ein Drehkreuz für den außerirdischen Flugverkehr sein.

Fliegende Untertassen, grüne Männchen - läuft man da nicht Gefahr, sich zu blamieren? Hat der Oberst nicht eine ähnlich bizarre Mission wie der peruanische Hauptmann Pantaleãn Pantoja, der mit der Einrichtung eines ambulanten Armeebordells betraut wird - weniger frivol zwar, aber genauso absurd? Anders als die Romanfigur von Mario Vargas Llosa ist sich der Oberst durchaus bewusst, dass er sich lächerlich machen kann. Zur Illustration erzählt er, wie ein Armeepilot mit einem US-Amerikaner unterwegs war und eins dieser unerklärlichen Himmelsphänomene sah. "Der Gringo hat das zu Hause berichtet, daraufhin fragte die US-Botschaft nach, was wir darüber wüssten. Wir wussten nichts, weil unser Mann nichts gemeldet hatte. Als wir ihn zur Rede stellten, hat er gesagt: Wollt ihr, dass man mich für verrückt hält?" Ein Stündchen Fahrt durch die heitere Flussoase rund um Chulucanas, und man kommt nach Piura la Vieja. Ein staubiger Platz, die winzige Kirche, ein paar geduckte Häuser, im Hintergrund die düsteren Gipfel der Anden - wenn es irgendwo spukt, dann vielleicht hier. Ja, sagt der 73-jährige Gilberto Escobar, natürlich gibt es Ufos. Selber gesehen hat er noch keine. Ja wie - wenn praktisch jeden Abend welche kommen? Egal, was sich am Himmel tut, wenn es dunkel wird, geht der Alte schlafen, basta. Aber Elber Gomez hat die Lichter gesehen, und zwar gerade letzte Nacht: Rot-gelb waren sie, sie kamen lautlos von links aus den Bergen, zogen über den Himmel und verschwanden hinter den Hügeln rechts. Wie sie das eigentlich immer tun, sagt der 31-Jährige, und die Umstehenden nicken. Auch einen Ort weiter, in San José del Chorro, reden sie von Ufos wie vom Milchpreis oder von den Fußballergebnissen. Klar, dass sich hier ab und zu mal einer voll laufen lässt, sagt Ivan auf der Rückfahrt, aber halluzinogene Drogen? Nein.

Chilca, 60 Kilometer südlich von Lima, ist eine weitere der 23 ufogenen Zonen Perus, die Oberst Raffos Amt ausgemacht hat: Gegenden, in denen sich die Berichte über anomales Himmelsgeflimmer häufen. Auch so ein harmloser Ort: Höhepunkt des Jahres ist hier die Krönung der Feigenkönigin. Bürgermeister Pablo Nalda - wie viele andere Chilcanos hat auch er schon bunte Lichter am Himmel gesichtet - träumt von anderen Attraktionen für sein ruhiges Küstenstädtchen. Langfristig könnte Chilca ein weltweites Ufozentrum werden, mit Veranstaltungshalle und Kongresszentrum. Ufos, sagt Naldas Tourismusreferent, müssten zum Markenzeichen Chilcas werden. Immerhin, hier schlecken die Kinder schon "Ufoeis". Überirdische fühlen sich, so sagen die Chilcanos, von den drei mineralhaltigen Tümpeln angezogen, die auch irdische Besucher nach Chilca locken. Denn der Schlamm der Lagunen - eine heißt "die Wundertätige", die zweite "die Verzauberte" - gilt als heilkräftig. Was im Übrigen auch ganz ohne Ufos zu Begegnungen der dritten Art führt: Mancher geht während der Anwendung schnell mal Mittagessen, ohne sich erst den angetrockneten Heilschlamm vom Gesicht zu waschen. Zu Sekten, Esoterikern und Spinnern aller Art halte sein Amt natürlich Abstand, sagt Oberst Raffo. Andererseits gehöre es zweifellos zu den Aufgaben der Armee, den nationalen Luftraum aufzuklären. Aber allzu groß sind die Erkenntnisse von Raffos Amt noch nicht. Was dahinter steckt, dass in Peru alle Welt Farbkugeln, Lichtstrahlen und silbrige Scheiben am Himmel erblickt, kann der Oberst nicht sagen. Um erst mal weitere Berichte zu sammeln, will er eine Ufo-hotline einrichten, "mit einer einheitlichen Nummer, so wie 156 für die Feuerwehr". Er hat einiges zu erwarten: 60 Prozent der 25 Millionen Peruaner, so wird geschätzt, haben schon mal Wunderliches am Himmel gesehen. Ja, und was meint er persönlich? Tjaaa, sagt Oberst Raffo, einerseits sei Peru natürlich ein Land voller Mythen, Märchen und Magie, und die archäologischen Fundstätten aus der Inka- und Vorinkazeit seien besonders ufoträchtige Zonen. Aber andererseits: 1983 war der Oberst auf dem Luftwaffenstützpunkt La Joya in Südperu stationiert. Und als die Offiziere mit ihren Frauen am Weihnachtstag nach dem Mittagessen zusammensaßen, da stürzten die Kinder herein: Guckt mal, guckt mal! Mit einem Abfangjäger ist er dann 13 000 Meter hoch in den wolkenlosen Himmel aufgestiegen und auf das zugerast, was ihm als "goldenes Ei" erschien. Aber das Lichtobjekt wich immer zurück, nach Süden zu. Nach 17, 18 Minuten war die Jagd zu Ende: Da begann der chilenische Luftraum. Die Chilenen, sagt der Oberst, hätten sie damals nicht kontaktiert: aus Angst, sich lächerlich zu machen.

Quelle/FT: Stuttgarter Zeitung, 15.07.2003


Views: 1360