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06.06.2003


    
Im Zeichen der "Entführten": Wer "Stimmen" hört, hat ein Problem

Hildegard von Bingen, Jeanne d´Arc, Franz von Assisi, Gandhi, Lessing und Rilke: Sie alle hörten in ihrem Kopf Stimmen.

VON HEIKE NICKEL, Kölner Stadtanzeiger vom 3.6.03

Kreis Euskirchen - Die einen hören Befehle, die anderen Beschimpfungen, wieder andere werden bedroht. Mal sind es gut meinende Engel, mal sind es Teufel, Mafiabosse, Hexen oder Außerirdische. Wiederum andere hören Freunde, Nachbarn oder Familienmitglieder. Untersuchungen zufolge hören drei bis fünf Prozent aller Menschen Stimmen. Das wären alleine im Kreis Euskirchen zwischen 5600 und 9400 Männer und Frauen, die unter diesem psychologischen Phänomen leiden. Der These, dass innere Stimmen, die in anderen Zeiten oder Kulturen als göttliche Eingebung oder aber Besessenheit galten, keineswegs immer Symptom einer Geisteskrankheit sein müssen, wurde unlängst in einer groß angelegten Studie in den Niederlanden nachgegangen. Demnach lebt etwa ein Drittel der befragten Stimmhörer völlig unauffällig mit ihren unsichtbaren Begleitern. "Ich hörte vor etwa zwei Jahren zum ersten Mal Stimmen. Sie verfolgten und beschimpften mich, wollten mich fertig machen", erzählt Christoph aus Euskirchen. Es folgten etliche Klinikaufenthalte, in denen der heute 22-Jährige auf starke Neuroleptika eingestellt wurde, die zwar die Stimmen dämpfen bis vertreiben, ihn jedoch zahlreichen Nebenwirkungen aussetzen, die eine normale Beteiligung am gesellschaftlichen Leben nahezu unmöglich machen. "Ich kann mich nur ganz kurz konzentrieren", erzählt er. Ohne die Hilfe seiner Betreuer und seiner Mutter wäre Christoph verloren. Zeuge seines Leidensweges wurde der Münstereifeler Lehrer Klaus Sebastian. Endlose Gespräche mit Christoph und seiner Mutter führten dazu, dass Sebastian sich mit der Thematik des Stimmenhörens beschäftigte. Kürzlich luden er und Christoph zu einer Pressekonferenz in die Räume des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ein, um die Gründung einer Selbsthilfegruppe für Stimmen hörende Menschen bekannt zu geben. Damit schließen sie sich an die internationale Organisation ´Netzwerk Stimmenhören´ an, die sich mit "akustischen Halluzinationen" befasst und neben der wissenschaftlichen Erforschung des Phänomens auch Gesprächskreise für Betroffene und Angehörige anbietet. Das erste Treffen findet am Donnerstag, 5. Juni, von 17.30 Uhr bis 19 Uhr im Paritätischen Wohlfahrtsverband, Wilhelmstraße 46, in Euskirchen statt. "Es geht nicht nur um den Austausch der Betroffenen untereinander, es sollen auch die Selbstheilungskräfte mobilisiert werden", erklärt Klaus Sebastian das Konzept der Gruppe. Nach dem Motto "Besser drüber reden, als alles mit Medikamenten zuzuknallen" will er versuchen, den Stimmen Hörenden Wege aufzuzeigen, zu den ungebetenen Besuchern in ihrem Kopf zu stehen. Davon ausgehend, dass die Stimmen ähnlich wie Träume eine symbolische Bedeutung haben und biografische Ereignisse genauso wie alltäglich Erlebtes reflektieren, mag dies zutreffen. Diese zu entschlüsseln, mit ihnen umgehen zu lernen und den Stimmen einen Platz im Leben zuzuweisen, könnte Zielsetzung einer solchen Gesprächsgruppe sein, in der auch Angehörige willkommen sind. Christoph sieht den wöchentlichen Treffen mit Vorfreude entgegen. Bisher, sagt er, habe er keinen Kontakt gehabt mit anderen Betroffenen. "Ich habe mich nicht getraut." Sein größter Wunsch ist es, im Gespräch mit den anderen Alternativen zu den Psychopharmaka zu finden, die er täglich in hohen Dosen nehmen muss. Informationen zur Gruppe bei Sebastian Klaus, 0 22 57/14 66.

http://www.stimmenhoeren.de/

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